Hospitationsprogramm der djo

djo – Deutsche Jugend in Europa Bundesverband e.V.

Was ist Ihre außergewöhnlichste Geschichte mit Wirkung? Was war das beeindruckendste Projekt der letzten Zeit? Welche Leistung Ihrer Stiftung oder gemeinnützigen Organisation verdient definitiv mehr Aufmerksamkeit?

Die Projektidee des Internationalen Hospitationsprogramms entstand ursprünglich aus spezifischen Bedarfen der Mitgliedsorganisationen der djo – Deutsche Jugend in Europa und deren internationalen Partnerorganisationen. Gewünscht war eine Maßnahme zur Qualitätssicherung der Internationalen Jugendarbeit durch einen vertieften fachlichen Austausch. Zudem gab es auf Seiten der Fachkräfte das Bestreben, ihre Kompetenzen durch eine Einbindung in die Arbeit der jeweiligen Partnerorganisation auszubauen und die Internationalisierung ihrer Jugendarbeit weiterzuentwickeln. Auch die in der djo – Deutsche Jugend in Europa organisierten Migrant_innenjugendselbstorganisationen (MJSO) wollten ihre mit der eigenen Migrationsgeschichte verbundenen Kompetenzen stärker in die Internationale Jugendarbeit einbringen.

Der Einsatz der Hospitant_innen erfolgt in Bildungs- und Jugendeinrichtungen, Vereinen oder Verbänden, so dass die Hospitant_innen einen Einblick in die Jugendarbeit in den jeweiligen Partnerländern gewinnen können. Zu den Aufgaben gehören z.B. methodische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, Projektentwicklung, Zusammenarbeit mit anderen Jugendorganisationen und mit Behörden und Unterstützung bei der Durchführung von Projektmaßnahmen. Gefördert werden je nach Programm Fahrtkosten, Unterkunft, Versicherung/Visa und ggf. Tagesgeld.

Unsere Hospitant_innen profitieren vom Programm auch auf persönlicher Ebene. Sie bauen interkulturelle Kompetenzen auf, entwickeln ein kritisches Denken und eine hohe Reflektionsfähigkeit. Zudem unterstützt das Programm beim Abbau von Stereotypen, der allgemeinen persönlichen Weiterentwicklung und stärkt das Selbstbewusstsein – nicht nur im internationalen Kontext. Hospitant_innen aus dem Ausland brachten oft auch neue Impulse für die Weiterentwicklung der lokalen Jugendarbeit der Aufnahmeorganisationen mit. Und natürlich entstanden durch die neuen Kontakte auch viele neue internationalen Partnerschaften.

Im Jahr 2019 sind unsere Kooperationsländer: Russland, Kirgisistan (Hospitationsprogramm) und Türkei, Belarus, Ukraine, Russland, Rumänien und Tschechien (Europäisches Solidaritätskorps).

Im Rahmen des Internationalen Hospitationsprogramms können die Fachkräfte der Jugendarbeit eine Hospitation in der Dauer von 3 Wochen bis 3 Monaten absolvieren, das Europäische Solidaritätskorps bietet jungen Menschen (18-30 Jahre alt) auch ohne Erfahrung die Möglichkeit, an einem Freiwilligendienst in unseren Partnerländern teilzunehmen. Ein Freiwilligendienst kann zwischen 2 und 12 Monaten dauern.

Das Hospitationsprogramm wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und von der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch gefördert, die Freiwilligendienste werden vom Europäischen Solidaritätskorps finanziert.

Ein Erfahrungsbericht von Beate Winterer über ihre Hospitation in Kayseri, Türkei im Herbst 2017

Eine Reise in die Türkei. Für mich Sommer, Sonne und Temperaturen über 30 Grad. Dass es in Kayseri anders werden würde, verriet mir vor meiner Ankunft Ende Oktober schon der Wetterbericht. Wie ähnlich der türkische Winter dem deutschen ist, spürte ich aber erst, als ich bei null Grad aus dem Flugzeug stieg und den schneebedeckten Berg Erciyes sah. Kein Wunder, die Stadt liegt in Mittelanatolien auf über 1000 Höhenmeter. Hier sollte ich die nächsten vier Wochen im Jugendzentrum der Abdullah Gül Universität (AGU) hospitieren und an Projekten für Studierende mitarbeiten. Eine für mich ebenso neue Erfahrung wie Schnee in der Türkei, da ich bisher nur ehrenamtlich mit Mittelschüler_innen gearbeitet hatte.

Aber die AGU machte mir den Einstieg leicht. Das fing bereits beim Campus an, der erst 2010 auf dem Gelände einer ehemaligen Textilfabrik entstanden ist und mit seinen Gebäuden aus Stahl, Glas und Beton moderner wirkt als viele westliche Unis in der Türkei. Gerade einmal 1000 junge Leute studieren hier – und zwar zu 100 Prozent auf Englisch. Die meisten von ihnen leben im gegenüberliegenden Student Village, einem Studentenwohnheim, das eher an eine Arbeitersiedlung als an eine klassische Studentenunterkunft erinnert. Entsprechend familiär ist das Zusammenleben. Jeweils vier Student_innen teilen sich eine Zweizimmerwohnung in einem Häuschen mit fünf solcher Wohnungen. Meine Mitbewohnerinnen waren Aysu, Güler und Zehra, die sich trotz straffem Stundenplan und ihrer Arbeit in verschiedenen Studierendenorganisationen regelmäßig Zeit für ein gemeinsames Picknick mit Tee und Kuchen mitten in der Wohnung nahmen. In diesen Teerunden verbesserte ich nebenbei mein holpriges Türkisch, das mir bis zum Ende der Hospitation viele Witze, aber auch die Bewunderung meiner Mitbewohnerinnen bescherte.

Meine sechs Kolleg_innen empfingen mich ebenfalls herzlich in der Youth Factory, dem Jugendzentrum der AGU. Die erste Mittagspause, verbunden mit einer kurzen Stadtrundfahrt, verbrachten wir in einem Lokal in Zentrum, wo wir uns bei Ayran und Kebab kennenlernten. Im Büro stattete mich Aytaç, mein Ansprechpartner während der Hospitation, mit eigenem Schreibtisch und eigenen Aufgaben aus. Dadurch fühlte ich mich schnell als Mitglied des Teams und arbeitete schon ab der ersten Woche an eigenen Projekten. Dazu zählte vor allem ein Workshop zum Thema Storytelling, in dem ich Student_innen beibringen sollte, wie sie beispielsweise in Referaten oder Texten Informationen verpacken, um möglichst viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich nutzte dabei mein Wissen aus dem Journalismus und erhielt Unterstützung von einem Studenten, der über Erasmus+ einen Trainingskurs zu diesem Thema besucht hatte und Spiele und Übungen beisteuerte. Am Ende führten wir den Kurs mit etwa einem Dutzend Student_innen durch, die wir zuvor anhand ihrer Bewerbungen ausgewählt hatten. Sie schrieben gemeinsam Geschichten, bastelten Kollagen und diskutierten über die Wirkung von Medien. Obwohl die Organisation des Workshops – inklusive Designen von Flyern und Planung von Auflockerungsspielen – ein Riesenaufwand war, freute ich mich am Ende über die positiven Rückmeldungen zu meinem ersten eigenen Projekt in der Jugendarbeit.

Wie Profis mit den Studierenden arbeiten, erlebte ich jeden Mittwoch live im interdisziplinären Seminar „AGU Ways“, wo Student_innen Lösungen für Umweltprobleme entwickeln. Ich war überrascht, mit wie viel Begeisterung und Kreativität mein Kollege Çaǧlar seine Gruppe leitete. Zwischen den einzelnen Arbeitsabschnitten baute er kurze Spiele ein, sogenannte Energizer. Wer zu spät kam oder störte, durfte aus der Punishment-Box einen Zettel mit einer Strafaufgabe, wie Ballett tanzen oder dem Sitznachbarn einen Kaffee spendieren, ziehen. Mir kam bei „AGU Ways“ die Rolle der Wissenschaftlerin zu, die die Methodik in den Lösungsansätzen der Studierenden bewertete.

Überraschend war für mich, wie stark die Jugendarbeiter_innen an der AGU Social Media nutzen, um mit den Student_innen Kontakt zu halten. Sie kündigen sämtliche Veranstaltungen der Youth Factory auf Facebook und Instagram an und posten regelmäßig Bilder oder kurze Videos ihrer Aktivitäten, da viele Student_innen die Neuigkeiten auf diesen Plattformen aufmerksamer lesen als die E-Mails der Uni. Deshalb war es Aytaç sehr wichtig, dass ich mich an den Social-Media-Auftritten beteilige. Am Ende jeder Hospitationswoche produzierte ich einen kurzen Film aus Fotos und Videos, die während meiner Arbeit und in der Freizeit entstanden sind, und erzählte von meinem Leben in der Türkei. Aytaç postete das Ergebnis auf Facebook. Für mich war es das erste Mal, dass ich Videos erstellen musste und obwohl ich von der Aufgabe anfangs nicht begeistert war, habe ich dabei eine Menge gelernt. Während ich mich in der ersten Woche noch Stunden durch das Schnittprogramm quälte, entstand mein letztes Video fast nebenbei. Die meisten Student_innen erfuhren erst durch meine Beträge, dass es in der Youth Factory eine deutsche Hospitantin gibt, und einige kamen sogar vorbei, um mich live zu sehen.

Meine Freizeit verbrachte ich mit meiner Lieblingsbeschäftigung, dem Reisen. Kayseri selbst ist trotz der Größe von 1,3 Millionen Einwohnern an einem Tag besichtigt. Zu den Attraktionen zählen die Bürüngüz-Moschee, zwei Einkaufszentren und das Restaurant Elmacıoğlu, das den besten İskender Kebap der Stadt serviert. Dafür bietet das nur eine Autostunde entfernte Zentralkappadokien Sehenswürdigkeiten für einen kompletten Urlaub. Ich konnte mir leider nur bei einer einzigen Tagestour einen Überblick über die weltberühmte Höhlenarchitektur zwischen Tuffsteinformationen verschaffen. Die Landschaft dort wirkt so unecht und beeindruckend, dass ich den Ausflug zu den schönsten Erlebnissen in der Türkei zähle. Die Hauptstadt Ankara, wo ich ein Wochenende verbrachte, konnte mich aus touristischer Sicht nicht überzeugen. Allerdings nahm mich dort die Familie meiner Mitbewohnerin Güler herzlich auf, die eigentlich aus Kappadokien stammt. Und die selbst gemachten Mantı, gefüllte Teigtaschen, ihrer Mutter entschädigen für vieles.

Ein bisschen Sonne habe ich übrigens auch abbekommen. Die Youth Factory trug während meiner Hospitation das Evaluationsmeeting des internationalen Projekts „Challange to Change“ aus – und zwar nicht in Kayseri, sondern im 20 Grad warmen Izmir an der Ägäis. Da ich dort bereits zwei Sommersprachkurse absolviert hatte, begleitete ich Aytaç für fünf Tage und unterstützte die ausländischen Teilnehmer_innen bei der Orientierung in der Stadt. Zu meiner Enttäuschung war ihr Interesse an Shoppingcentern größer als an den antiken Stätten. Dennoch konnte ich sie für einen Ausflug nach Efes begeistern, der eine Abwechslung zur Projektarbeit bot, die hauptsächlich aus Vorträgen der einzelnen Organisationen sowie Diskussionen über eine gemeinsame Publikation für Jugendarbeiter_innen bestand.

Nach vier Wochen Hospitation in der Türkei blicke ich auf einen Rucksack voller neuer Methoden für die Jugendarbeit, lustige Abende im Studentenwohnheim, spannende Reisen, viel zu viel leckeres Essen und Dutzende neuer Freund- und Bekanntschaften zurück. Und ich bin mir sicher: Ich komme wieder! Dann aber vielleicht in den lauwarmen Frühlingsmonaten. Denn wie ich gelernt habe: 40 Grad Außentemperatur sind in Kayseri im Sommer genauso gewöhnlich wie minus zehn im Winter.

Machen Sie mit!

Falls wir Ihr Interesse am Hospitationsprogramm geweckt haben, finden Sie mehr Informationen auf unserer Homepage https://www.djo.de

Projektpartner: djo – Deutsche Jugend in Europa Bundesverband e.V. / Grafikdesign & Illustration: Kinga Darsow / Anmerkung: Ansprechpartner/in: Catherine Knauf, Hana Campos, Bericht: Beate Winterer Hospitantin Internationales Hospitationsprogramm djo /